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Atelier Thomas Lehnigk

Ästhetische, raumorientierte Zweckbestimmtheit

Auf der Suche nach den Künstlern vor Ort. Kummer, B 5 Richtung Boizenburg. Rechts liegt das Dorf. Eine übergroße Mücke am Ortseingang, dann eine alte Holländermühle und Sägerei. Viel mehr nimmt man von der Straße aus nicht wahr. Wenige Schritte hinter dem letzten Haus eine kleine Einfahrt: kein Hinweisschild, kein Werbeplakat.

„Hallo, ich bin Tom.“ Die unkomplizierte Begrüßung macht ihn sofort sympatisch. Hier auf dem Gelände der alten Ziegelei hat sich Thomas Lehnigk einen Traum erfüllt, hat seine Werkstatt eingerichtet und vor allem viel Freiraum für die Verwirklichung seiner Ideen. Kreativität braucht Platz. Das Gelände wirkt wie zufällig so geworden und doch mit Plan geschaffen. Pflanzenareale und Freiflächen mit großen Skulpturen aus Stahl. Rostigem Stahl.

Es dauert nicht lange und wir sind vertieft in Gespräche über seine Kunst, sein Leben. Begonnen hat alles schon im Schulalter. Da besuchte er bereits Malkurse. Im Schlosspark erlernte er von Norbert Ertner das zeichnerische Grundhandwerk. Damals erwachte sein Interesse für die Kunst. An ein Kunststudium nach Beendigung der Schule aber war nicht zu denken. „Lern was Vernünftiges“, so der Rat seiner Eltern und er wurde erst einmal Nachrichtentechniker. Arbeit fand er später in Hamburg, hatte Verantwortung, hatte Gesellen. Aber irgendwie lies in das Gefühl nicht los, dass das nicht alles ist, was er vom Leben erwartet.

Also schmiss er kurzentschlossen alles hin und studierte dann doch noch, drei Jahre lang Werbegrafik. Seine erste Ausstellung zeigte er im Ludwigsluster Schlosspark, im Schweizerhaus. Irgendwann fand er den Weg von der Grafik zum Werkstoff Stahl. Ein Schmiedekurs in Mueß vermittelte ihm die ersten Kenntnisse, Schweißen lernte er vor Ort. Ein Freund hat die Metallbaufirma des Vaters übernommen. Dort durfte er sich ausprobieren, lernte autodidaktisch und konnte erfahrenen Handwerkern über die Schulter schauen.

Mit den ersten kaltgeschmiedeten Objekten stellte sich Thomas Lehnigk in Schwerin auf den Weihnachtsmarkt. Der Erfolg beflügelte ihn und so machte er sich 1998 als freischaffender Künstler selbstständig. Dann folgten Jahre, in denen er auf vielen Kunsthandwerkermärkten stand. Aus heutiger Sicht sagt er, war das eine wichtige Zeit, denn sie ermöglichte ihm Kontakte zu knüpfen und als Künstler zu wachsen. Wohl jedes zweite Wochenende präsentierte er seine Kunst auf Ausstellungen, die ihn durch ganz Deutschland führten.

Der Kunstwissenschaftler Ulrich Rudolph beschreibt Lehnigks Kunst wie folgt: „Formfindung für eine Idee, eine Botschaft im Sinne geistiger Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen und Objekte rein ästhetischer, raumorientiert zeichenhafter Zweckbestimmtheit oder das Erfassen der menschlichen und tierischen Figur.“ Und so ist jedes Objekt, das Lehnigk präsentiert, ein Unikum, das zum Philosophieren und Interpretieren einlädt.

Aber nicht nur Stahl wird in seinen Händen zur Kunst, auch mit einem porösen Gestein, das erdgeschichtlich gewachsen ist und durch den erhöhten Eisengehalt seine rötlich-braune Farbe erhält, arbeitet er gern. Raseneisenstein. Typisch für die Region. Ein Gestein, wie gemacht für die Darstellung des mecklenburgischen Symboltieres, kraftvoll wie der Stier und schön zugleich.



Seit drei Jahren ist er, wie er selber sagt, „wieder zu Hause angekommen“. Das Interesse an Kunst im Raum wächst auch in Mecklenburg zusehends. Aus ehemaligen Nutzgärten werden Oasen der Erholung und Lehnigks stählerne Kunstobjekte finden zunehmend auch dort ihren Platz.

2016 hat Thomas Lehnigk erstmalig an „Kunst offen“ teilgenommen. Von der Resonanz war er positiv überrascht, wohl 350 Menschen hatten den Weg zu ihm gefunden. Sein Gelände steht Interessierten immer offen. Ganz pragmatisch, wie Mecklenburger sind, sagt er: „Öffnungszeiten gibt es bei mir nicht. Wenn ich da bin, ist auf.“

Lehnigk möchte der Region, in der er zu Hause ist, etwas zurückgeben. Er möchte Skulpturen in die Landschaft stellen, zum Betrachten einladen und zum Nachdenken anregen. Und ganz nebenbei erfahren wir, die überdimensionale Mücke am Ortseingang stammt auch aus seiner Werkstatt.

Sylvia Wegener, 27.06.2016